Die Autorin, selbst Professorin mit Migrationshintergrund, zeichnet ein kritisches und pointiertes Bild vom gegenwärtigen Zustand des deutschen Hochschulwesens und seiner Studierendenschaft. Das Buch ist eine Mischung aus persönlicher Erfahrung, pädagogischer Analyse und gesellschaftspolitischer Kritik.
1. Bildung als kostenloses, aber nicht wertgeschätztes Gut
Gülbay-Peischard beklagt, dass das kostenfreie Bildungssystem Deutschlands vielfach zu einer Konsumhaltung geführt habe. Studierende betrachteten Bildungsangebote oft nicht als Chance, sondern als Anspruch. Ein Leistungsbewusstsein sei kaum vorhanden, Lernen erfolge bulimieartig, kritisches Denken sei rar. Künstliche Intelligenz wie ChatGPT werde genutzt, aber nicht reflektiert. Studierende seien oft nicht in der Lage, selbst anspruchsvolle Texte zu verstehen oder Interesse für ihre Fächer zu entwickeln.
2. Persönliche Bildungsbiografie als Kontrastmodell
Als Kind türkischer Gastarbeiter, die selbst keine Schulbildung genossen, hebt die Autorin den Wert von Bildung als Aufstiegschance hervor. Sie stellt dem heutigen studentischen Anspruchsdenken ihre eigene Erfahrung gegenüber, in der Bildung als Privileg galt. Arbeit, so Gülbay-Peischard, werde heute von vielen als Zumutung empfunden, obwohl empirisch belegt sei, dass Arbeitszeiten von bis zu 50 Stunden pro Woche keine negativen Effekte haben müssten.
3. Oberflächlichkeit und fehlende Anstrengung im Studium
Studierende strebten oft nur nach dem „Schein“ und nicht nach Erkenntnis. Eigenverantwortung, regelmäßige Vorbereitung und Vertiefung des Stoffes würden gescheut. Dozenten mit hohem Anspruch würden gemieden, während andere ihre Anforderungen senkten, um gute Evaluationen zu erhalten. Prüfungsleistungen würden häufig durch minimalen Aufwand vorbereitet, Betrugsversuche nähmen zu, und Mitarbeit werde als Zumutung verstanden.
4. Sprachliche und kognitive Defizite
Die Autorin sieht grundlegende Schwächen in Ausdrucksfähigkeit, Lesekompetenz und Textverständnis. Juristische Klausuren würden zu oft durch das bloße Abschreiben von Gesetzestexten bestritten, weil das Verstehen und Anwenden schwerfiele. Die Nutzung von Smartphones, Autokorrektur und fehlende Übung im Schreiben führten zu einem eingeschränkten aktiven Wortschatz und zu Denk- und Strukturarmut.
5. Mangelnde Umgangsformen und Empathie
Auch das soziale Verhalten vieler Studierender sei problematisch. Es fehle an Höflichkeit, Aufmerksamkeit im Unterricht, und grundlegenden Kommunikationsfähigkeiten. Smartphones störten den Ablauf, es würden unaufgefordert Sprachnachrichten verschickt, und die Fähigkeit zu direkten Gesprächen nehme ab. Empathie, etwa das Türöffnen für andere, sei vielfach nicht mehr selbstverständlich.
6. Weltfremde Wahrnehmung und ideologische Scheuklappen
Allgemeinbildung sei ebenso wie politisches Verständnis unterentwickelt. Gesellschaftliche Debatten würden oft mit ideologischer Voreingenommenheit geführt, Verantwortung aber stets bei anderen gesucht – insbesondere beim Staat. Kritische Rückmeldungen würden schnell mit Diskriminierungsvorwürfen gekontert und eine sachliche Auseinandersetzung erschwert.
7. Eltern als Teil des Problems
Die Autorin kritisiert Curling-Eltern, die ihre Kinder vor allen Widrigkeiten schützen und ihnen keinen Raum für Selbstständigkeit lassen. Viele Studierende seien dadurch nicht konfliktfähig, nicht kritikbereit und nicht in der Lage, mit den Realitäten des Lebens umzugehen. Auch die emotionale und finanzielle Abhängigkeit von den Eltern bleibe oft bis ins Erwachsenenalter bestehen.
8. Versagen von Schule und Gesellschaft
Schon im Schulsystem werde nicht gelernt, wie man lernt, sondern nur auswendig. Die Zahl der funktionalen Analphabeten mit Abitur sei alarmierend. Eltern beeinflussten die Leistungsbewertung massiv und drängten ihre Kinder zur Hochschule, unabhängig von deren Fähigkeiten. Die duale Ausbildung sei gesellschaftlich abgewertet, obwohl sie oft passender wäre.
9. Lösungsansätze
Gülbay-Peischard fordert verpflichtende Praxisjahre, klare Leistungsrückmeldungen, eine stärkere Betonung von Fleiß und Durchhaltevermögen sowie mehr Ehrlichkeit im Umgang mit eigenen Schwächen. Auch die Hochschulen müssten sich stärker auf ihre Bildungs- und Erziehungsfunktion besinnen und dürften sich nicht auf die Rolle der Dienstleister reduzieren lassen.
Fazit
„Akadämlich“ ist ein streitbares, aber differenziert argumentiertes Plädoyer für ein Umdenken in der Hochschulbildung. Es ruft zur Rückkehr zu Leistungsorientierung, Eigenverantwortung und Bildung als ernstzunehmender gesellschaftlicher Aufgabe auf. Gülbay-Peischard bringt darin nicht nur systematische Kritik, sondern auch persönliche Erfahrung und klare Forderungen zusammen – ein Denkanstoß für Bildungspolitik, Eltern, Lehrende und Studierende gleichermaßen.
Das Buch hat 237 Seiten und ist für ca. 20 Euro erhältlich.